Jetzt ist guter Rat teuer. „Was denken Sie über Indien und wie ist Ihre Meinung über die Rolle der Frauen in Indien?“ Ravindra, ein Reporter vom Fernsehsender N3News hält mir erbarmungslos sein Mikrofon unter die Nase.
Er produziert einen Bericht über eine Kundgebung der Frauenrechtlerin Sampat Pal und ihrer „Gulabi Gang“. Wenn dazu schon ein Fotograf und ein Reporter aus dem fernen Deutschland angereist sind, dann will Ravindra auch ein Interview mit ihnen führen.
Dumm, dass wir uns gerade fragen, ob wir wirklich hier sind, weil die Kundgebung der Gulabi Gang stattfindet. Oder ob diese Kundgebung nur deshalb stattfindet, weil wir gerade hier sind.
Mir fallen bloß ein paar banale Sätze ein ...
Aber egal, der indische Kollege wartet auf meine Antwort. Erst mal höflich sein, das kann nicht schaden. Kurz geräuspert, den Rücken gerade richten, ein freundliches Lächeln anknipsen, und dann mit einem gewinnenden Blick in die Kamera: „Indien ist die größte Demokratie der Welt“, höre ich mich sagen.
Respekt, Herr Selbherr! Ein eleganter Satz voller nichts sagender Schlichtheit. So mancher Politiker wäre stolz auf dich. Ob ich zu Hause für den Gemeinderat kandidieren soll?
Besser gleich noch so ein Ding nachlegen. Wirtschaft vielleicht? Oder sogar: Wachstum? Ja, denn Wachstum ist nie verkehrt, sagt auch unsere Kanzlerin (was denkt die eigentlich so über die Rolle der indischen Frau?). „Indien hat ein fantastisches Wirtschaftswachstum.“
...dabei wäre das die Gelegenheit, um wichtige Botschaften loszuwerden
Ravindra lächelt zustimmend und hebt den Daumen der rechten Hand. Selbherr, die indische Fernsehnation liegt dir zu Füßen.
Kurz bevor Ravindra dann Kamera und Mikro einpackt, noch ein vorsichtiger Satz von mir. „Aber ich denke, dass nicht alle Inder vom Aufschwung profitieren, besonders die Frauen nicht.“ Naja, das war’s auch schon. Recht zahm klingt sie, meine Kritik an den Verhältnissen im Land. Dabei haben wir in den Tagen hier so viel Armut gesehen, die eigentlich einen lauten Protestschrei verlangt.
Aber schärfer werden meine Worte erst, wenn wir wieder zu Hause sind. Am sicheren Schreibtisch lässt es sich eben leichter wettern über „korrupte Eliten“, das „ungerechte Kastensystem“ und die „Unterdrückung der Frauen“.
Schwerer ist es dagegen, wenn man das jemandem direkt ins Gesicht – oder in die Kamera – sagen soll.
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